Black Friday in der Bibliothek
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Black Friday in der Bibliothek

Idealerweise wäre eine Diss einzuleiten wahrscheinlich so, wie eine Operation einzuleiten. Das Objekt ist bewegungsunfähig und anästhesiert, das Subjekt angetrunken genug, damit das Zittern des Skalpells jenes der Nervosität ausgleicht. Dann natürlich scharfe Schnitte; es darf herausspritzen. Der Anfang ist immer in your face, ausser man schreibt geduckt, um jeder Unappetitlichkeit aus dem Weg zu gehen. Hoffentlich hat man den Saal nicht verwechselt; hoffentlich geht es hier tatsächlich um diese filigrane Spezialität abgespreizter Fortsätze; es dann, die Zunge zwischen die Zähne geklemmt, Alkoholatem anhaltend, vorsichtig angehen, man greift nun in lebendes Gewebe ein, versucht den Forschungsstand nur so weit anzuschneiden, wie es nötig ist, um die winzige Prothese einzusetzen, über deren Stimmigkeit und Nutzen man sich in vielen Durchgängen versichert hat. Ja, sie ist künstlich und klein und ja, vielleicht stösst der Körper sie ab - zurecht ja eigentlich, sie ist ja nicht er - , aber sie ist teuer gemacht und teuer einzusetzen. Die Allgemeinheit hat sich ihr Herunterschleifen etwas kosten lassen.

Man – das hiesse ja modern: ich lege nun das Gewebe offen. Oder legen wir offen? "Wir wollen zeigen", aber wollen wir das überhaupt? Irgendwann kippt Eleganz in Arroganz und die wieder in Unbeholfenheit. Unbeholfenheit gegenüber dem eigenen Anspruch: Aber nein, wir wollten das eigentlich gar nicht zeigen. Du hast uns dazu gedrängt. Heute wird auch nichts mehr offengelegt, weil es altmodisch wäre und heimlichtuerisch, heute lege ich es offen, tätig und selbstbewusst; denen werde ich es zeigen. Deinetwegen.

Selbst wenn die Griffe sitzen, ist die Angelegenheit ein wenig schmutzig. Es ist ja alles zu deinem Vergnügen, und je näher es an einem Versagen kratzt, desto besser. Du also wirst zeigen, dass sich dieses Phänomen historisch entwickelt hat und dass sich die These bestätigen lässt (du weisst es nur noch nicht). Du wirst die Stelle nun genau lesen und analysieren. Mit der Zange greifst du den Fortsatz heraus, langsam entwindest du den verkümmerten Knorpel. Du wirst dich jetzt auf diese Stelle konzentrieren, und zeigen, wie sich die Prothese einsetzen lässt und ich, wir, man schauen zu. Es hast immer nur du geforscht.

Als du etwa in der Hälfte bist, schaust du auf und streifst dir mit dem Ärmel über die Stirn. Das ist ja gar kein Operationssaal, merkst du jetzt. Er ist kühl und weit und zu allen Seiten breiten sich dutzende Körper auf Liegen aus, die versehrt auf Eingriffe warten. Es hat von Anfang an kein Blut gehabt, merkst du, nichts konnte je in your face sein, und es eilt auch nicht, und im Prinzip bist du dir jetzt auch sicher, dass deine Prothese nicht abgestossen wird. Du musst sofort aus dem Leichenschauhaus heraus. Du willst einem den Weg hinaus zeigen.

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